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Geschrieben von Neeeele am 08.03.2022 um 17:32:

  Stiefkinder der Republik - Angelika Censebrunn-Benz

Stiefkinder der Republik von Angelika Censebrunn-Benz




als gebundene Ausgabe: 20.- Euro, 240 Seiten, erschienen am 14.02.22 im Verlag Herder

als Kindle Ausgabe: 15,99 Euro, 241 Seiten, erschienen am 14.02.22 im Verlag Herder

Ich habe dieses Buch als digitales Leseexemplar vom Verlag erhalten und bedanke mich dafür ganz herzlich beim Verlag und bei Netgalley.

Dieses Buch beleuchtet das Leben der Kinder und Jugendlichen in den staatlichen Heimen der ehemaligen DDR. Auch in der DDR nimmt das Jugendamt Kinder und Jugendliche in Obhut, die von den Eltern vernachlässigt oder gar verlassen werden. Ganz oft werden Kinder aber auch aus den Familien genommen, weil sich die Eltern politisch nicht regelkonform verhalten, in die BRD ausreisen wollen oder sonstwie auffallen.

Das Heimsystem für staatliche Umerziehung ist oft geprägt von unvorstellbarer Gewalt gegen die Kinder, nicht selten auch psychischer und sexueller Missbrauch durch ältere oder stärkere Insassen und Erzieher. Die Kinder und Jugendlichen wurden stark isoliert, oft unter Psychopharmaka gesetzt und ihr Wille systematisch gebrochen. Es gab kaum individuelle Entfaltung, weil die Kinder schon sehr früh in Gruppen eingegliedert wurden und sie sich dort unterzuordnen hatten. Die staatlich geregelte Fürsorge der DDR bot eine eine gute Kontrollmöglichkeit bis in die Familien hinein und das schon beginnend mit der Ganztagsbetreuung in der Kinderkrippe. Diese ideologische Erziehung ging dann weiter bei den Pionieren und in der FDJ.

Die Heime der DDR sind unterteilt in Normalheime, Spezialheime, Jugendwerkhöfe (die besonders schlimm waren) und Jugendhäuser, die den Werkhöfen sehr ähnlich waren aber direkt dem Ministerium des Inneren und somit dem Strafvollzug unterstellt waren. Die Jugendhäuser waren somit Haftanstalten für Jugendliche ab 14 Jahren. Dort saßen aber nicht nur Kriminelle ein, sondern auch Jugendliche die gegen die sozialistischen Normen verstoßen haben.

Allgemein gab es in den Heimen keine größeren Bildungsmöglichkeiten und auch keine Aussichten auf Berufsausbildung. Meist hatten die Jugendlichen gemeinnützige Arbeiten oder schwere Arbeit in den Fabriken oder der Landwirtschaft zu erledigen für ein ganz geringes Taschengeld. Die Teilfacharbeiterausbildung die sie erhielten wurde nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nicht anerkannt.

Da die Kinder oft flohen aus den Heimen wurden sie mehrfach weiter gereicht von Heim zu Heim und kamen fast alle irgendwann im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau an, der der schlimmste von allen war. Die Beschreibung der Zustände dort hat mich echt an meine Grenzen gebracht beim Lesen. Man braucht echt starke Nerven für dieses Buch und hat oft mit den Tränen zu kämpfen. Durch die einzelnen Interviews mit ehemaligen Heimbewohnern wird einem das ganze Ausmaß so richtig bewußt. Man denkt doch sehr lange darüber nach. Nicht nur über die schlimmen Dinge, die diese Kinder erlebt haben, sondern auch welche Auswirkungen das auf die Erwachsenen heute noch hat. Sie sind ja kaum in der Lage ihr normales Leben heute irgendwie zu meistern. Diese Heime waren ja kein Ort der Fürsorge und Obhut sondern die schlimmsten Kindergefängnisse die man sich nur vorstellen kann. Ich finde, all die Menschen die da mitgemacht haben, gehören zur Verantwortung gezogen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan und rein mein emotionales Empfinden. Man muss sich aber auch klar werden, dass nicht alle Erzieher freiwillig mitgemacht haben und oft selbst Opfer waren. Das wird wohl leider nie wirklich aufgearbeitet werden. Deshalb finde ich das Buch besonders lesenswert, denn hier wird all diesen Kindern und Jugendlichen eine Stimme gegeben und das Unrecht welches ihnen wiederfahren ist wird aufgedeckt.

Ich möchte euch dieses Buch wirklich ganz dringend ans Herz legen und empfehlen, auch wenn das Lesen weh tut. Ich komme ja selbst aus der ehemaligen DDR, wußte, dass es Heime und Jugendwerkhöfe gab, hatte aber überhaupt keine Ahnung was da vor sich ging. Es ist auch erschreckend zu erfahren, wie schnell man in diese Mühle hätte selber kommen können und wie froh und dankbar man sein muss, dass das nicht passiert ist.

Eine Sternebewertung gebe ich aus Respekt vor den Menschen die diese schrecklichen Dinge erleben mussten nicht ab.


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